Zwischen Betonstaub und Excel-Tabellen – warum ich manchmal alles hinschmeissen will
- Tian
- 14. Sept.
- 5 Min. Lesezeit
Nachtgedanken im Betonstaub
Es ist spät. Meine Hände riechen nach Staub, meine Arme fühlen sich schwer an, und die kleine Werkstatt ist voller Glas- und Betonreste. Ich habe heute wieder länger geschliffen, als es gut für mich wäre. Der Körper schreit nach Schlaf, aber der Kopf schreit nach Fertigwerden.
Morgen früh klingelt der Wecker wieder um fünf. Nicht für meine Gläser, nicht für meinen Beton. Für den Hauptjob. Excel-Tabellen, Grafiken, Telefonate, To-Do-Listen. Ein Alltag, der bezahlt, was meine Leidenschaft noch nicht tragen kann. Vielleicht nie?

Und dann sitze ich hier, in diesem seltsamen Zwischenraum, irgendwo zwischen Stolz und Müdigkeit, zwischen „das ist meins“ und „das wird nie reichen“. Und ganz leise taucht er wieder auf, dieser Gedanke: Warum eigentlich? Warum tue ich mir das an?
Der Spagat - zwei Leben in einem Körper
Tagsüber Büro. Routine. Sicheres Gehalt, Krankenversicherung, bezahlter Urlaub. Die Stimme in mir, die manchmal sagt: „Sei doch zufrieden, andere wären froh.“
Abends Werkstatt. Listen, Schweiß und Betonstaub in der Luft. Kein Chef, keine Anweisungen, nur ich, die Maschine und die Materialen. Freiheit, aber auch Verantwortung.
Es fühlt sich an, als hätte ich zwei Leben, die nicht zueinanderpassen wollen. Im Büro sage ich „ja“, obwohl ich „nein“ denke. In der Werkstatt sage ich „nein“, wenn andere ein „ja“ erwarten. Im Büro muss alles schnell sein, in der Werkstatt darf es ruhiger bleiben, darf es roh sein.
Viele sehen nur das Endprodukt – ein Glas, ein Tablett oder vielleicht eine Schale. Sie sehen nicht die Stunden danach, wenn ich erschöpft auf der Couch sitze und meine Hände müde sind vom Tag. Sie sehen nicht, wie ich nach einem Zehn-Stunden-Tag nochmal zwei Stunden schleife, weil der nächste Drop fertig werden muss.
Der Spagat ist manchmal brutal. Aber vielleicht ist er genau das, was mich Antreibt.
Zweifel sind treuer als jeder Algorithmus
Der Zweifel ist ein Arschloch. Er kommt nicht, wenn man ihn einlädt. Er kommt immer dann, wenn man gerade schwach ist.
Er kommt nachts, wenn ich zwischen unfertigen Gläsern sitze. Er kommt morgens, wenn ich Instagram aufmache und sehe, wie andere Accounts explodieren, während meine Reichweite stagniert. Er flüstert: „Warum machst du das? Wer braucht das? Du wirst sowieso untergehen.“
Manchmal hat er eine laute Stimme. Dann sehe ich meine Arbeit plötzlich wie durch die Augen anderer: „Das ist doch nur ein Glas. Andere machen das billiger. Andere haben mehr Auswahl.“
Und in diesen Momenten merke ich, wie dünn die Linie zwischen Stolz und Resignation ist.
Aber: Zweifel ist auch ehrlich. Er hält dir einen Spiegel hin. Er zwingt dich, zu prüfen, ob du noch für das Richtige kämpfst. Er fragt dich: „Machst du das wirklich für dich, oder nur für Likes?“ Vielleicht ist der Zweifel genau deshalb mein treuester Begleiter.
Weil er mich dazu zwingt, realistisch zu bleiben.
Bauchgefühl statt Businessplan
Jede Gründerberatung würde mir sagen: „Mach einen Businessplan. Definiere deine Zielgruppe. Rechne deinen Marktwert aus.“
Mein Bauchgefühl lacht über solche Pläne. Nicht, weil sie sinnlos wären, sondern weil ich genau weiß, dass mein Weg nicht linear ist. Ich habe keine Massenproduktion. Ich habe keine Kalkulation, die auf Masse setzt. Ich habe Stücke, die ehrlich sind. Stücke, die erzählen, mich ausdrücken .
Das Bauchgefühl sagt mir, wann ein Glas fertig ist. Nicht eine Tabelle. Das Bauchgefühl entscheidet, wann ein Produkt aus dem Sortiment fliegt. Nicht ein Berater. Das Bauchgefühl sagt: „Mach weniger, aber mach’s richtig.“
Natürlich macht das mein Leben schwerer. Natürlich wäre es einfacher, auf Trends zu setzen. Aber ich kann und will nicht. Denn das, was ich baue, ist nicht nur ein Shop. Es ist ein Teil von mir. Und ganz ehrlich:
Lieber scheitere ich an meinem Bauchgefühl, als dass ich
etwas mache, was ich selbst nicht fühlen kann.
Handwerk als Halt
Es gibt etwas, das stärker ist als jeder Zweifel: das Handwerk selbst.
Wenn ich eine Flasche ansetze, der Glasschneider knackt, und das Material sich trennt. Das ist ein Moment, den man nicht in Likes messen kann. Wenn ich Beton gieße und die Masse langsam abbindet, während kleine Luftblasen nach oben steigen. Das ist ehrlicher als jeder Algorithmus. Wenn ich eine Kante schleife, bis sie so weich ist, dass man sie kaum noch spürt, dann bin ich genau da, wo ich sein soll.
Handwerk hält mich. Weil es nicht lügt. Wenn der Beton bricht, liegt es an mir.
Wenn ein Glas springt, liegt es an mir. Es gibt kein Photoshop, kein Filter, kein Fake.
Und genau deshalb brauche ich es. In einer Welt, die immer mehr inszeniert, brauche ich etwas, das roh bleibt.
Der Preis der Leidenschaft
Niemand sagt dir, wie viel es kostet, das zu tun, was du liebst.
Nicht nur Geld, wobei auch das brutal ist.
Maschinen, Werkzeuge, Material. Alles frisst Budget, aber vor allem Zeit.
Zeit, die du nicht mehr mit Freunden verbringst.
Zeit, die du nicht mehr vor Netflix sitzt.
Zeit, die du nicht mehr schläfst und Energie raubt.
Manchmal ist das Glas nicht das, was bricht. Manchmal bist du es selbst.
Es gibt Tage, da will ich nur noch die Tür zumachen. Kein Staub, keine Kunden, keine Nachrichten mehr lesen. Nur Stille. Aber dann denke ich: Genau dafür mache ich es. Damit Stille nicht nur Leere ist, sondern Raum. Der Preis ist hoch. Aber nichts tun wäre teurer.
Kleine Siege, die größer sind als sie scheinen
Es gibt Momente, da reicht eine kleine Nachricht.

„ Es war so liebevoll verpackt.“
„Danke, dass du sowas machst.“
„Ich habe mein neues Lieblings-Glas.“
Das sind keine Zahlen, die man in ein Reporting einträgt. Das sind keine KPIs, die man in einem Meeting vorstellt. Aber sie sind der Grund, warum ich weitermache.
Kleine Siege sind.
Ein Paket, das heil ankommt. Ein Foto, das mir jemand schickt, wie mein Glas auf seinem Tisch steht. Ein Kommentar, der mich für eine weitere Woche trägt. Und vielleicht ist das die Wahrheit: Kleine Siege sind groß genug.
Das größere Ganze
Es geht nicht nur um Beton. Nicht nur um Glas.
Es geht darum, dass Dinge bleiben.Darum, dass nicht jede Flasche Abfall ist.
Darum, dass ein Glas auch Haltung haben kann.
Ich weiß, mein Anteil ist klein. Aber vielleicht ist er genau deshalb wichtig. Weil nicht alles groß sein muss, um zu zählen.Weil Substanz nicht aus Stückzahlen entsteht, sondern aus Bedeutung. Handwerk ist mehr als ein Job. Es ist eine Entscheidung gegen das Wegwerfen. Eine Entscheidung für Zeit, für Gewicht, für Bedeutung.
Was bleibt ohne „alles hinschmeissen“
Am Ende bleibe ich hier sitzen. Zwischen Staub und Excel-Tabellen. Zwischen Zweifel und Bauchgefühl. Zwischen „alles hinschmeissen“ und „noch ein Stück“.
Und vielleicht ist genau das die Antwort: Weitermachen, weil es ohne nicht geht. Nicht, weil es einfach ist. Nicht, weil es sich lohnt. Sondern, weil es das Einzige ist, was sich echt anfühlt.
Und während der Zweifel lacht und das Bauchgefühl schweigt, stelle ich das nächste Glas auf den Tisch und sehe die Kanten, die Risse, die Spuren.
Ich sehe mich und ich weiß:
Egal, wie laut der Zweifel schreit – es bleibt.
Wer mehr über meinen Weg zwischen Staub und Bauchgefühl erfahren will, findet auf meiner Über tian Seite noch ein paar ehrliche Worte.
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